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Vierte Eindrücke aus Basel

Vierte Eindrücke aus Basel

Habt Ihr sicher mittlerweile mitbekommen: Die Schweizerische Nationalbank hat ihre jahrelang praktizierte Politik geändert und in der Folge hat sich der Kurs des Franken dramatisch geändert.

Ich bin mir sicher, daß das für fast alle ganz abstrakt ist, mich hätte es ja auch früher eher weniger interessiert. Da ich aber nunmal hier in der Schweiz bin, interessiert es mich brennend! Und daher kann ich gerne erzählen, was hier passiert ist.

Konsumrausch

Ich war zufällig am Tag der Änderung bei einem lokalen Autohändler ein Auto ansehen. Im Weggehen hatte ich schon entschieden, das Auto zu kaufen. Komme also nach Hause, will Souad davon erzählen und höre stattdessen von ihr die Neuigkeiten über den Franken.

Der hatte in der Zwischenzeit etwa 20% an Wert gewonnen, das Auto war also sozusagen, grob vereinfacht, 20% teurer geworden (denn man kann ja auch ein Auto in der EU kaufen und überführen). Soviel dazu.

Autoverkäufer in der Gegend vermitteln eh das Gefühl, sie wollten lieber nicht gestört werden.

Am Samstag nach der Änderung war Gerüchten zufolge in keinem Geldautomat in Basel mehr auch nur ein einziger Euro zu haben. Die halbe Stadt (oder vielleicht die ganze) war in Deutschland, Sachen kaufen. War ja alles quasi 20% billiger geworden.

Die beiden meistfrequentierten Grenzübergänge in Weil am Rhein waren voll wie nie und der Zoll auf dem Weg in die Schweiz war sehr genau und streng. Ergebnis: Komplettes Verkehrschaos.

Dazu muß man vielleicht anmerken, daß beide Grenzübergänge an gewöhnlichen Samstagen schon kein Spaß sind — einer der Gründe warum wie lieber in Frankreich im Supermarkt einkaufen. Man steht gerne mal 30 bis 45 Minuten, bis man in Weil ist, und zurück darf man auch immer mindestens 30 Minuten rechnen. Expat-Probleme. Und ich möchte nicht da wohnen.

Anyway, seit der Franken mehr wert ist, geht da absolut gar nichts mehr.

Und leider muß ich gerade jetzt aus verschiedenen Gründen permanent nach Weil. Ich verbringe zur Zeit etwa 3/4 meiner Samstage im Auto zwischen Oberwil (CH), Saint-Louis (F) und Weil am Rhein (D). Gemeinsam mit allen anderen Bewohnern Basels, versteht sich.

Sehr schön illustriert das übrigens meine "Location History" bei Google.

Ein normaler Wochentag sieht so aus:

Bewegung an Wochentagen - unten links Oberwil, oben Barfüsserplatz, wo ich arbeite. Dauert 10 Minuten hin (runter
und 25 Minuten zurück (hoch)) Da ich viele Kinder habe, bemühe ich mich an Wochenden so wenig wie möglich zu tun. An Sonntagen gelingt mir das manchmal, und das sieht dann so aus:
Ein toller Sonntag - keine meßbare Bewegung
An Samstagen habe ich wie gesagt keine Chance. Irgendwer muß ja einkaufen, und da man in allen dreien umliegenden Ländern ja an Sonntagen nicht einkaufen kann, muß ich alles am Samstag erledigen:
Samstag - von Oberwil nach Saint-Louis zu Géant, dann über Weil am Rhein wieder nach Oberwil. Dauert etwa 3 - 4 Stunden.

Merkwürdige Behörden

Ich habe in der Vergangenheit manchmal über Behörden geschimpft. Das war in Frankreich notwendig, in Deutschland einfach und im UK selten.

Jetzt sind wir in der Schweiz, einem Land dessen Kultur ich zumindest um Basel herum eher mit Deutschland vergleichen würde als mit Frankreich oder dem UK. Und daher hatte ich mich bisher nicht sonderlich auf die vielen Behördengänge gefreut, die hier nötig zu sein scheinen.

Aber!

Die Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung Oberwil sind meist gut gelaunt, sprechen allesamt mindestens 2 Sprachen, und vor allem machen sie Vorschläge, wie man Dinge besser machen könnte!

Mit anderen Worten: Die sind richtig gut!

Beispiel Führerschein.

Als EU-Bürger ist man ja freizügig innerhalb der EU, d.h. man darf wohnen wo man will. Dazu gehört, daß man sich anmeldet (wo man das muß (im Uk nicht)) und ein paar andere Dinge tut. Führerschein innerhalb von 6 Monaten ummelden ist so ein Ding. In Frankreich war mir das irgendwie völlig entfallen, schließlich war ich ja sechseinhalb Jahre lang nur temporär da, aber im UK habe ich es 2005 erledigt.

Dabei kam ich zu ein paar Kategorien, die ich so vorher nicht hatte. Gnade der frühen Geburt oder so.

Leider muß man im UK ab dem 45sten Lebensjahr beweisen, daß man physisch noch in der Lage ist, einen LKW zu fahren, wenn man die Klasse behalten möchte, und mein Augenarzt war der Meinung, meine Augen seien nicht mehr gut genug. Wurde ich also heruntergestuft.

Und dann gehe ich nach Oberwil, merke nur nebenbei an, daß ich nicht genau weiß wie die auf meinem übertragenen UK-Führerschein noch verbliebenen Klassen in der Schweiz heissen, da sagt die Frau: Ja wieso übertragen Sie denn nicht lieber den alten Führerschein aus Deutschland?

Muß man drauf kommen, oder?

Beim Landesbetrieb Verkehr in Hamburg kann man ein Fax anfordern mit einem Auszug, den haben die also nach Oberwil gefaxt (nur an Behörden!). Darauf rief mich die Gemeindeverwaltung an und am nächsten Tag ging ich hin und wir füllten gemeinsam den Antrag aus. Vielleicht darf ich ja demnächst wieder LKWs fahren...

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