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Ich mach' hier nur meinen Job

Verehrte Kollegen, meine Damen und Herren, liebe Studierende!

Ich bin oft gefragt worden 'Jan, was machst Du da eigentlich so bei Deinem Job?'. Meine Antwort lautet meistens: 'Ich schreibe irgendwann mal einen Bericht darüber, ok?', und die meisten Fragenden sind damit voll und ganz zufrieden. Leider zu Unrecht, denn ich habe nie einen Bericht darüber geschrieben, was ich hier eigentlich genau mache, und die eigentliche Frage bleibt damit unbeantwortet.

Diese für alle Beteiligten unerfreuliche Situation möchte ich heute gerne entschärfen. Der Herr Vorsitzende hat mir bedeutet, meine Vorredner hätten ein wenig überzogen, ich werde mich also kurz fassen, so viel zu erzählen gibt es auch nicht. Bitte? Nein, haha, ein bißchen tue ich schon, ja, ich bin ja kein Student mehr, nicht? Haha, entschuldigen Sie, liebe Studierende, ich kann einfach keine Pointe auslassen, nehmen Sie's nicht persönlich.

Zurück zum Thema meines Vortrages, 'was mache ich eigentlich hier?'. Ich muß kurz ein wenig ausholen:

e-acute

Im November 1999 stolperte ich auf der Suche nach einem Posten, der ebenso lukrativ wie spannend sein sollte, über das Gesuch einer kleinen Firma (2 Personen), die eine Software für den Palm entwickelt. Der Sitz dieser Firma lag von meinem aktuellen Standpunkt aus etwa 500m in Richtung Norden, der Name 'e-acute' gefiel mir gut, und für den Palm wollte ich schon immer mal programmieren, also fing ich im Januar hier an zu arbeiten, mittlerweile als vierter, denn noch im Dezember wurde Eric als Entwickler eingestellt, unser einziger Franzose. Lukrativ war der Job zwar nicht wirklich, aber Materialismus war ja noch nie mein Fall.

Sie können sich sicher vorstellen, wie es zu dem Zeitpunkt um die Firma bestellt war. Es gab keine Organisation, die Hardware stand unmotiviert kreuz und quer im Büro herum, nicht einmal einen Laserdrucker hatte e-acute.

Meine erste Aufgabe war also, ein wenig die Hard- und Software in Ordnung zu bringen und einen Webserver zu installieren, mit einem geschützten Bereich, der im Januar für die Teilnehmer am ersten öffentlichen Test von Octave gedacht war. Da ich auf dieser Seite des Atlantik der einzige bin, der sich mit Linux auskennt, wurde ich praktisch automatisch Systemadministrator und Webmaster, nebenbei auch noch Webdesigner, zumindest in der Anfangsphase.

Was ich als Webdesigner verbrochen habe, ist zum Glück nicht mehr zu sehen, eine Firma hat die Seiten irgendwann Anfang des Jahres neu gestaltet. Design ist nicht wirklich meine Stärke. Genau, haha. Nein, meine privaten Seiten bleiben online. Haha ... danke ... murmelderdeppsolldocherstmalselberwebseitenmachengnagnagrummel ...

Der Test lief übrigens hervorragend, unsere Tester lieferten viele Tips und Octave wurde stark angepaßt. Eric und ich waren beide damit beschäftigt, Programme zu schreiben, die zusammen mit Octave benutzt werden können. Eric schrieb das 'Octave Tutorial', eine freie Beigabe zu Octave, mit der man schreiben üben kann. Ich programmierte währenddessen am 'Octave Dictionary Tool'. Wollen Sie wissen, was das ist? Ja? Kurze Abstimmung ... wer möchte es wissen? Ok, ja, ich sehe schon ... will irgendjemand nicht, daß ich das kurz erläutere? Hm ... aha ... ok. Der junge Mann dahinten, Sie könnten doch einfach kurz mal eine rauchen gehen, oder? Danke.

Also ... das Dictionary Tool ... dazu muß man wissen, was Octave macht.

Das Octave Dictionary Tool

Wenn man mit Octave Texte schreibt, steuert man mit dem Stift acht verschiedene Ecken an, hinter denen sich quasi die Buchstaben des Alphabets verstecken. Octave sucht in seiner Datenbank das jeweils wahrscheinlichste Wort und schlägt es vor. Wenn man den Stift anhebt, bedeutet das quasi 'dieses Wort bitte!'. Man kann auch einzelne Buchstaben schreiben, aber das dauert länger und deswegen möchte man am liebsten alle Wörter im Wörterbuch haben.

Es gibt ein Benutzerwörterbuch, in das man selber Wörter speichern kann (weil z.B. 'Dummbatz' sicher nicht in den 25.000 Wörtern des deutschen Wörterbuchs enthalten sein dürfte), und das Dictionary Tool macht genau das: Es durchsucht den Palm, also die Adressen, Memos, die Agenda und die Aufgabenliste nach Wörtern, die es noch nicht kennt. Dann zeigt es die Wörter an, und ich kann abhaken, welche ich davon in mein Benutzerwörterbuch speichern möchte.

Ein extrem sinnvolles Tool, schließlich kann ich dann später 'dummb' schreiben und bekomme direkt 'Dummbatz'. Praktisch, oder? Wie dem auch sei, das Dictionary Tool ist leider noch nicht ganz fertig.

Bemerkenswert in dem Zusammenhang finde ich, daß sowohl Erics als auch mein jeweils erstes Programm auf dem Palm gleich verkauft wird. Das war wohl auch das erste Mal, daß ich mir beim Programmieren ein wenig Gedanken über das gemacht habe, was ich da bastele, ein sehr ungewöhnliches Konzept für mich. Eric hat es da dank seiner mehrjährigen Berufserfahrung einfacher, deswegen kommt sein Tutorial wahrscheinlich auch so gut an, die Leute lieben es, besonders die Franzosen.

So, meine Damen und Herren hier vorne, Sie können jetzt wieder aufwachen, hahaha... ja, mir ist das selber auch zu technisch. Wissen Sie, im Grunde verstehe ich nichts von diesem ganzen Internetkrams, und wie die ganze Computer in diese kleinen Gehäuse reinstopfen, also für mich ist das Magie.

Wie dem auch sei, e-acute ist eine sehr kleine Firma, also mache ich nebenbei noch alles mögliche zusätzlich. Das sind so Sachen wie mal eben nach Nice fahren, Tastaturen beim Computerhändler abholen, oben beim Empfang nach Post gucken, Telefon beantworten, Support machen (auf Französisch, puh...), mögliche Praktikanten begutachten, was man halt so macht.

Ganz schnell schreiben

Seit zwei Wochen habe ich noch einen weiteren Job, quasi nebenbei und mehr zum Spaß, aber nichts desto trotz zeitaufwendig. Einer unserer Mitbewerber veranstaltet von Zeit zu Zeit einen Wettbewerb, bei dem erstens der schnellste Schreiber eine Flasche Dom Perignon gewinnen kann, und mit dem zweitens ganz allgemein gezeigt werden soll, daß so ein Palm auch zur Dateneingabe taugt. Ist ja klar, daß wir da mitmachen, und weil David (unser CTO und Chefprogrammierer) zur Zeit nicht abkömmlich ist, Tim (unser CEO) es außer Konkurrenz probiert (eine kleine Regelfrage, er benutzt 'word completion'), Eric zu viel zu tun hat und Dairine aus irgendeinem Grund glaubt, sie würde eh nicht mithalten können (was ich nichtmal glaube), bin ich der einzige, der tatsächlich mitspielt.

So kommt es, daß ich von Berufs wegen ganz oft und ganz schnell 'What you have to do to have a chance to win the contest is to tap this sentence as fast as you can without any error. One more thing you need to have for a valid entry is a witness.' schreibe, stundenlang und immer wieder. Immerhin bin ich von Platz 25 in der Rangliste mittlerweile auf Platz 9 aufgestiegen, und ich habe mir vorgenommen, die 40s (bzw. 60 Wörter pro Minute) auch noch zu knacken, aber das ist echt schwierig. Naja, Tim ist bei 69WPM, aber das werde ich wohl nicht schaffen.

Man sieht, ein ganz normaler Arbeitsalltag. Deswegen wahrscheinlich tauchte im Januar ein kleines Fernsehteam bei uns auf, um den Werdegang von e-acute von der 2-Leute-Butze zum Marktführer (räusper) zu dokumentieren. Am Anfang kommt man sich sehr komisch vor, das kann ich Ihnen sagen, wenn ein Fernsehteam bei einem Meeting dabei ist und sich außer den Augen der Kollegen auch noch eine Kamera auf sie richtet, wenn Sie was sagen. Aber man gewöhnt sich an alles.

Am 1. Juni war hier frei, aber weil das ein Donnerstag war, haben wir beschlossen, stattdessen den Freitag ausfallen zu lassen und am Donnerstag selber eine Art Ganztags-Meeting zu machen, weil David gerade da war und wir mal wieder so eine typische 'Wo sind wir gerade, wo wollen wir hin'-Diskussion machen wollten. Weil wir bei Tim am Pool saßen, war das ganze eher locker, und so kam es zu zwei Szenen, die wir vermutlich nicht sehen werden, wenn der Beitrag im September auf Arte ausgestrahlt werden wird: Eric und ich unter einem Sonnenschirm am Pool gucken mit verwirrtem Blick in die Kamera, weil Marc (der Kameramann, Regisseur und Interviewer in einem) uns soeben gefragt hat, was wir eigentlich von der 35-Stunden-Woche halten, sowie Tims verwundertes 'Natürlich' beim Schwimmen auf die Frage, ob es sich gelohnt habe, nach Südfrankreich zu ziehen.

Und sonst...

Ja, meine Damen und Herren, das soll's erstmal gewesen sein, ich will Sie nicht länger aufhalten, sicher wollen Sie noch ein wenig darüber nachdenken, wie die deutsche Fußballnationalmannschaft ('der Sauhaufen') wieder auf internationales Niveau kommen könnte, und daß trotz allem 'wir' die ersten waren, die das WM-EM-Doppel geschafft haben, nicht?!

Hinten im Saal finden Sie Erfrischungen und in der Ecke sitzen meine freundlichen Helfer und verkaufen Ihnen gerne die On-Line-Version dieser Mail. Schauen Sie sich also ruhig um, wir beißen nicht, haha. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und einen schönen Tag noch!

Grüße,
Jan

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