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Regen

N'Abend!

Sehr Englisch

Hyperion hat zwei Büros im UK, unseres in Manchester und das andere in Egham bei Heathrow. In Heathrow sitzen die Jungs, die vorher bei Brio gearbeitet haben. Brio wurde letztes Jahr im Oktober von Hyperion übernommen, ist jetzt also Teil von Hyperion.

Die Produktpalette ist natürlich nicht die gleiche, deswegen bin ich in dem Team, das die Supporter aus Egham unterstützt und erweitert, denn die waren vorher fürchterlich überarbeitet und daher nicht sehr effizient.

Wegen der Anordnung mit den zwei Büros waren wir (Maria, Giuseppe, Jean-Marc und ich) Anfang März zwei Wochen lang in Egham, um unseren Vorbildern abzugucken, wie sie das so machen. Letzten Endes haben wir ihnen hauptsächlich Fälle abgenommen, aber es war schon gut, räumlich nah zu sein, denn erstens mußten wir ja permanent dumme Fragen stellen, und zweitens ist es wohl auch eine gute Idee, wenn man die Leute kennt, mit denen man arbeitet.

Abgesehen davon macht man bei Hyperion relativ viel Training und trifft schon alleine deswegen auch die Eghams öfter wieder, z.B. weil sie zu einem Training nach Manchester kommen. Mitte April hatte ich z.B. ein Training zum Thema "Fähigkeiten die man im Support braucht", bei denen immerhin drei der 6 aus Egham da waren.

Das Training fand in einem Hotel nicht weit von hier statt, ich fragte also die drei, ob sie am Abend noch ausgehen würden. Maurice lehnte das erwartungsgemäß ab, aber Earl und Christian (nein, Engländer) wollten in den Pub gehen.

(Das war ja die längste Einführung aller Zeiten... jetzt kommt erst was ich eigentlich erzählen will. Ts... Aber lest selbst:)

Wir verabredeten uns also so gegen 8 im Pub in Hale. Weil man in Manchester nicht betrunken fährt (anders als an der Côte d'Azur), nahm ich also die Bahn, inklusive einmal umsteigen.

Die ganze Aktion kam mir wahnsinnig englisch vor: Mit Kollegen in den Pub gehen, relativ früh natürlich, zur Bahnhaltestelle latschen und dabei eine Mütze tragen, mit anderen Mützenträgern und halbnackten Mädels bahnfahren, im Pub die Mütze abnehmen und Bier von der Bar holen, dabei neben vielen Schlipsträgern und besoffenen Arbeitslosen stehen, die sich über ManU unterhalten, dann Bier trinken, tratschen, einen Burger essen und wieder nach Hause fahren, damit man vor Mitternacht in der Koje liegt.

Sehr britisch. Und vor allem hat mich das alles sehr an Hamburg erinnert. Auf dem Weg zur Bahn ist es ein wenig frisch und man hat die Hände in den Hosentaschen, weil es ganz leicht nieselt. Auf dem Rückweg merkt man dann, daß man auf dem Hinweg Rückenwind hatte, und daß es etwas mehr als nur nieselt... Man läuft mit gesenktem Kopf und beschleunigtem Schritt. Angst hat man nur vor Passanten, die ihren Regenschirm nicht im Griff haben und einem das Auge ausstechen wollen.

Man wartet auf Bahnsteigen ohne Dach auf den nächsten Zug, weil der Anschlußzug genau in dem Moment abgefahren ist, in dem man auf dem Bahnsteig angehetzt kam. Die anderen Bahnfahrer sind alle um die 20 Jahre alt und kümmern sich nicht um das leichte Nieseln, die sind das ja auch gewohnt. Wenn man 20 Jahre alt ist, macht man sich außerdem eher Sorgen um sein Aussehen.

Der Boden glänzt vom vielen Regen. Autoscheinwerfer sehen wieder ganz anders aus als in Frankreich, denn man sieht fast besser die Reflektionen von der Straße als die Scheinwerfer selber. Unter den Straßenlaternen kann man am Flug der Regentropfen erkennen, wie stark und wohin der Wind weht. Alles sehr vertraut, obwohl ich schon seit fast 15 Jahren nicht mehr im Norden gewohnt habe...

Schön.

In der Einflugschneise

Meine Kollegin Maria hat mir heute erzählt, daß sie vor ihrer Zeit bei Hyperion zwar schon gerne Autorennen gesehen hat, Flugzeuge aber in ihrem Leben keine größere Rolle gespielt hatten. Seit sie aber bei Hyperion arbeitet, ist sie Flugzeug-Geek. Das dürfte symptomatisch sein, denn das Büro liegt sehr nah an der Ein- und Ausflugschneise des Flughafens Manchester, der immerhin einer der lebhaftesten im UK ist. Die Fenster sind gut schallisoliert, aber sehen kann man natürlich trotzdem, was da so landet und startet und ein wenig hören tut man es doch.

So kommt es, daß das komplette Büro (etwa 20 Leute) vor ein paar Wochen auf einmal aufraunte, als zwei Eurofighter (oder Tornados) über unsere Köpfe zoschten... schließlich ist die Gegend um so einen Flughafen herum verbotener Luftraum! Im Endeffekt war das ein Salut an die Concorde, die zum Ausstellungsgelände des Flughafens rollte, aber die Vermutungen gingen bis zum Terroranschlag.

Wundern tut mich das, weil ich selten so viele Leute auf einem Haufen gesehen habe, die den Unterschied zwischen normalem Anflug von Zivilmaschinen und außerplanmäßigem Überflug zweier Militärjets am Geräusch erkennen können und dann auch noch eine halbe Stunde darüber angeregt debattieren!

Ich kenne viele Leute, die am Bahnhof oder am Flughafen Fernweh fühlen, und beim Anblick eines Flugzeuges denkt man wahrscheinlich automatisch an Ferien, aufregende, schöne oder entspannende Reiseziele und die Freiheit über den Wolken. Das Interesse hier im Büro ist aber eindeutig mehr technisch.

Man probiert, besser als die anderen am Klang zu erkennen, um was es sich handelt. Man entwickelt Vorlieben für bestimmte Flugzeugtypen ("Boah, die Dash 8 ist aber auch häßlich!") oder Varianten innerhalb einer Baureihe ("Wenn Luxair mal aufhören würde, diese lächerlichen, großen Finnen an ihre Flügel zu bauen, wären ihre 737s fast wieder ok"), oder auch nur für bestimmte Fluglinien ganz allgemein ("PIAs neue Farben sind schön, hm?!").

Kerosin fressen!

Etwa eine Meile vom Büro entfernt gibt es einen Pub namens 'Airport'. Man kann sich ungefähr vorstellen, daß der wohl nah am Flughafen sein könnte, hm? Nah ist aber nicht ganz das richtige Wort: Der Pub hat nach hinten raus eine Wiese, deren Zaun auch der Zaun des Flughafengeländes ist. Direkt hinter dem Zaun liegen etwa 50m Wiese und dann der Anfang der Piste!

Wenn man in der Ecke am Zaun steht, spürt man den Wind der Triebwerke...

Flugzeuge landen ja normalerweise nicht ganz am Anfang der Piste (wenn diese lang genug ist für den Luxus, siehe z.B. hier oder hier), aber sie starten meistens von dort. Die Zufahrt zur Startbahn liegt dabei genau an der rechten Seite des Gartens, der Pub liegt also sozusagen in einer Ecke des Flughafens.

Vom Zaun aus sieht man jedenfalls die Flugzeuge schön auf sich zu rollen, dann drehen sie Richtung Bahn ab, und dort nochmal um 90°, bevor sie starten. Je nach Größe des Flugzeugs spürt man während der letzten Drehung den Wind der Düsen, und natürlich riecht es nach Kerosin.

So, das ist also nun ein Pub, ja? Maria sagt, daß am Wochenende auf der Wiese, die immerhin ein halbes Fußballfeld füllt, kein Platz frei ist! Kinder spielen auf dem angebauten Spielplatz, Mütter tratschen und Väter stehen am Zaun und staunen. Nebenbei macht der Airport Pub auch noch gute Burger, und die Fritten können sich problemlos mit denen bei McDonald's messen. So läßt sich's leben.

Nun sind wir aber an einem Dienstag zum Mittagessen da, und deswegen tummeln sich nur etwa 10 Planespotter auf der Terasse, zwei davon mit Ferngläsern, einer mit Weltempfänger (den er vermutlich auf irgendeine Tower- oder Flugzeugfrequenz geregelt hat), und einige mit Kameras und Listen. Auf http://www.ringwayreports.co.uk/ kann man dann später nachgucken, was man gesehen hat, und selbstverständlich hängt im Pub eins von diesen Tickerboards, die An- und Abflugzeiten zeigen...

Und was habe ich an diesem Tag gelernt? Airbus macht Krach. Die Dinger haben ganz eindeutig die lautesten Triebwerke von allen, egal welcher Größe... während die Boeing 777 den spürbarsten Wind erzeugt. Tja, das hättet ihr nicht gewußt, hm? Eine 747 haben wir leider nicht gesehen, die Pakistanische 747 kommt um kurz vor 12, dafür waren wir zu spät dran.

Rechte aller Länder...

Wie kommt eine rechtsradikale, englische Partei dazu, für ihren Europawahlkampf ausgerechnet einen Ausländer als Hilfe einzuspannen? Ist das nicht irgendwie -äh- bescheuert? Und dann auch noch einen Franzosen?

Die British National Party hat genau das am 25.4. getan, sie haben Jean-Marie Le Pen eingeladen, und er ist gekommen, nach Altrincham, etwa 3 Miles südlich von hier.

Das führt uns auch wieder auf einen kulturellen Unterschied, diesmal zum Thema "Demonstrationen".

Wenn in Frankreich demonstriert wird, dann gibt es normalerweise Organisatoren. Man marschiert mit Spruchbändern und singt oder skandiert dabei, und in vorderster Reihe trifft man normalerweise den einen oder anderen Oppositionspolitiker an. Alles sehr gesittet.

In England trifft man sich vor dem Hotel, in dem die Pressekonferenz stattfinden soll. Man wartet darauf, daß Le Pen erscheint. Dann bewirft man sein Auto mit Eiern und Farbe. Gleichzeitig bemüht man sich, das Auto zu treten oder zu schlagen. Dafür muß man natürlich nah ran. Weil aber Polizei und Bodyguards genau das nicht wollen, haut man sich gegenseitig aufs Maul. Eventuell wirft man auch noch ein paar Absperrungen um und blutet spektakulär auf eine Fernsehkamera. Als Polizist ist man bemüht, die Leute wegzudrängen und dabei nicht so oft aufs Maul gehauen zu bekommen, und als Bodyguard findet man das Getümmel unangenehm und haut einfach nur um sich.

In diesem Fall gefällt mir die französische Variante besser, genau wie ich lieber in Frankreich arbeitslos sein würde als in England, oder lieber in Frankreich krank sein und zum Arzt gehen müssen wollte als in England, wo das Gesundheitssystem zwar toll privatisiert ist, aber leider auch ziemlich scheiße. Dafür geht an England kein Weg vorbei, wenn man mal wieder Lust hat auf eine zünftige Keilerei! Die in Frankreich antrainierten Verhaltensweisen beim Autofahren ("Schimpfen", "Fluchen" und "Gestikulieren") gewöhnt man sich hier besser ganz schnell wieder ab.

Souad hatte übrigens mittags vorgeschlagen, wir sollten zum Hotel gehen und mitdemonstrieren, aber ich glaube sie ist ganz froh, daß wir dann doch stattdessen den Rasen gemäht haben...

Links fahren

Als Gegengewicht zur rechten Berichterstattung hier noch eine kleine Anekdote von links.

Normalerweise finde ich es cool, in meinem kontinentaleuropäischen Auto durch's Linksfahrerland zu fahren. Weiß nicht warum, aber ich mache gerne Dinge anders als die Anderen.

Ich kann aber nicht verleugnen, daß es Nachteile gibt! Und ich meine hier nicht, daß man angeblich schlechtere Übersicht hat, weil man links sitzt, oder daß öffentliche Parkplätzen problematisch sind, wenn man ohne Beifahrerin unterwegs ist, weil ja die Schranken ihre Zettel rechts ausgeben, man also als Linkssitzer aussteigen muß.

Nein, ich rede von echten Nachteilen, von Nachteilen, die einem das Leben schwer machen. Ich rede von Nachteilen, dank derer man sich fragt, ob man nicht doch lieber ein paar Tausend Pfund hinblättern und ein britisches Auto kaufen soll. Ich rede von Nachteilen, die mich mein Außenseiterdasein bitter bereuen lassen: Buaaaahhhh! Ich kann nicht McDrive machen! Das ist wirklich richtig ätzend. Jawohl!

Abgesehen davon gibt es gar keine britischen Autos mehr. Die ganzen ehemals renommierten Marken hat BMW gekauft (und nach Meinung der Briten verhunzt), und man fährt traditionell sowieso eher japanisch. Undenkbar in Frankreich (oder Deutschland): Sogar die Polizei fährt Volvo.

Bye
Jan

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