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Indien

Moin!

Dänemark ist schön und gut, dieses Mal geht's aber nach Indien! Immerhin kann ich dieses Jahr nicht zum Fescht, da kann man ja mal etwas exotischer sein, oder?

Wilmslow Road, Rusholme

Manchester hat zwei Stadtteile mit richtig schlechtem Ruf, Hulme and Moss Side. Wie sich das für eine Stadt gehört, sind beide in direkter Nachbarschaft der Unis und ebenfalls wie es sich gehört wohnen am Rande der beiden, genauer in Fallowfield und Rusholme, relativ viele Studenten.

Das eigentlich interessante an Rusholme ist aber Wilmslow Road, die sogenannte "Curry Mile", die Gegend mit der höchsten Konzentration östlicher Restaurants in Europa. Es ist schwierig, sich das vorzustellen, wenn man es nicht gesehen hat. Ich wage mal einen Versuch einer Beschreibung:

Geht zum Inder und schnuppert in die Küche. So riecht es in etwa, wenn man in einer Seitenstraße (also noch 500m weg) aus dem Auto steigt.

Geht in's Kino und guckt "Lost in Translation". Denkt Euch die oberen 80 Stockwerke der Gebäude weg. Dann bleiben zwei Stockwerke und viel Neonlicht in allen denkbaren Farben und Blinkfrequenzen.

Stellt Euch vor, wie die Freßhallen im Trafford Centre oder im Arndale Centre aussehen: Rund um eine Halle voller Tische und Stühle finden sich -Wand an Wand- Mc Donald's, Burger King, KFC und andere Fastfood-Ketten. Jeder davon hat groß seinen Namen oben dranstehen. Das scheint ein verzweifelter Versuch zu sein, in der Vielfalt nicht unterzugehen, mit mehr oder weniger Erfolg. Wer schonmal im Space Park in Bremen war, kann sich das ansatzweise vorstellen. So.

Und jetzt machen wir die Augen zu und denken uns alle bekannten Schriftzüge weg. Fertig? Ok, dann denken wir uns indische Namen dazu, z.B. Moogli, Shere Khan oder so. Sieht komisch aus, nicht?!

Jetzt denken wir uns das Dach weg und anstelle der Halle eine lange Straße, nicht besonders breit, und -wie gesagt- mit zweistöckigen Häusern an beiden Seiten. Jedes Haus ist ein indisches Restaurant, ein indischer Take-Away oder ein exotischer Supermarkt. Jedes. Ich habe nicht gezählt, aber es müssen buchstäblich dutzende Restaurants sein, wahrscheinlich so knapp unter 50.

Dazwischen finden sich Juweliere, die bunten und kitschigen aber dennoch teuren Schmuck anbieten, sowei der eine oder andere Süßwarenladen, exotisch natürlich.

Abgefahren, oder? Und nicht das Neonlicht vergessen! Die ganze Chose leuchtet und blinkt wie ein amerikanischer Weihnachtsbaum!

Das ist also die "Curry Mile", das Wahrzeichen von Rusholme und eine der Attraktionen in Manchester. Ich hoffe, man kann sie sich jetzt halbwegs vorstellen. Falls nicht, sagt Bescheid, dann mache ich mal ein paar Fotos.

Was lugt denn da über den Baum?

Indisches Essen

Überall in Europa scheint es dieses Phänomen zu geben: Das deutsche Nationalgericht ist Gyros, die Franzosen essen am liebsten Couscous, und Engländer stehen eben auf Curry.

Beim lokalen indischen Take-Away findet man (anders als beim Gyrosschuppen in D) einen bunten Querschnitt durch die Bevölkerung. Man sitzt auf einem Sofa und wartet gemeinsam mit farbverschmierten Malerlehrlingen, alten Damen mit Hund, lächelnden Indern, beschlipsten Anwälten, abgerissenen Saufköppen und so weiter auf sein Essen und knabbert irgendwelche scharf gewürzten Nüsse.

Man findet hier überall Inder, nicht nur auf der "Curry Mile", die ganze Stadt ist absolut voll mit indischen Restaurants. Ich schätze, die indischen Restaurant werden nur noch von den Pubs überboten, von denen es fast so viele gibt wie in Deutschland Telefonzellen oder Zigarettenautomaten.

Wie dem auch sei, indisches Essen ist hier ziemlich lecker, und vor allem ist es eine ganz neue Welt! Ich kann mit den allermeisten Namen auf den Speisekarten nichts anfangen, und selbst die Standardgerichte kenne ich nicht. Das läßt viel Freiraum für Experimente und angenehme Überraschungen in den nächsten Jahren. Klasse!

Schaffe, schaffe, Häusle kaufe...

Im europäischen Durchschnitt ist das UK eines der kapitalistischeren Länder. Manchester ist sogar Geburtsstätte der Hardliner, und wie ich im letzten Bericht ja schon erwähnt hatte, brauchte es diverse Cholera-Epidemien, bevor die Industriestädte im Nordwesten sich dazu aufraffen konnten, eine Trinkwasserversorgung zu bauen.

In einem kapitalistischen Land wird man mitleidig belächelt, wenn man erzählt, daß man in einem Mietshaus wohnt ("dead money"), und tatsächlich machen wir uns zur Zeit Gedanken über den Kauf eines Hauses.

Unser aktuelles Zuhause hat einfach zuviele Nachteile, z.B. die laute Straße hinten, die absurden Farben innen, den Teppich, die Tapeten, den Gasofen und die zu kleinen Fenster. All das könnte man eigentlich ändern, aber unser Vermieter ist vor allen Dingen eins: Desinteressiert. Und uns widerstrebt es, einem solchen Vermieter zu helfen, indem wir den Wert seines Hauses steigern.

Das Radioteleskop in Jodrell Banks kann man ganz aus der Nähe begucken...

Ein Haus kaufen also. Ok. Wie man das wohl macht?

Zunächst braucht man dafür Geld, und zwar leiht man sich das bei der Bank oder einem anderen Verleiher. "Mortgage" heißt das, und jetzt wißt Ihr also auch endlich, von was diese blöden ungefragt zugeschickten Emails immer reden!

Jede Bank hat auf ihren Webseiten einen Rechner, mit dem man rausfinden kann, wieviel man sich so in etwa leihen könnte. Man tippt sein Gehalt und eventuell vorhandenes Startkapital ein und bekommt dann eine grobe Idee, wieviel man haben kann und wieviel man monatlich zurückzahlen muß.

Z.B. könnte man sich 100000 Pfund leihen und müßte dann 25 Jahre lang jeden Monat 700 Pfund abzahlen. Im Endeffekt hat man also 210000 Pfund abgezahlt, aber man hat ein Haus! Und falls das Haus bis dahin mehr als 210000 Pfund wert ist (und das wird es sein), hat man 25 Jahre lang kostenlos gewohnt.

Es gibt noch eine andere Variante: Die "interest-only mortgage", bei der man sich einen Betrag leiht, eine Zeit lang die Zinsen bezahlt und dann das Geld komplett zurückzahlt. Das ist quasi wie Miete an sich selbst zahlen, denn falls das Haus in der Zwischenzeit teurer wird, kann man dabei sogar gewinnen. Die Kehrseite der Medaille ist, daß man für Wertverluste zahlen muß.

Man kauft also ein Haus, zahlt die Zinsen, und wenn man dann nach 3 oder 5 Jahren wieder nach Frankreich ziehen will, weil da die Sonne scheint, verkauft man sein Haus und zahlt den geliehenen Betrag auf einen Schlag zurück.

Ein Radioteleskop besteht in erster Linie aus Stahlstreben.

Finanzberater

Wir beschließen, daß wir professionelle Hilfe brauchen und folgen der Empfehlung zweier Arbeitskollegen, einen unabhängigen Finanzberater aufzusuchen.

Der unabhängige Finanzberater läßt sich kurz die Schlüsseldaten geben (Gehalt, mitgebrachtes Geld) und sagt dann "140000, kein Problem" und "750 im Monat". Ich werfe noch "wir bleiben nur ein paar Jahre in England!" in's Spiel und er kontert mit "Ganz klar interest-only", tippert ein wenig auf seinem Notebook und sagt dann "575 im Monat". Das gefällt uns, denn erstens sind 140000 mehr als wir gedacht hatten und man findet dafür ganz ansprechende Häuserchen, und zweitens sind 575 weniger als unsere Miete.

Ein wenig Rechnen zeigt, daß wir für 500 Pfund im Monat immerhin etwa 120000 Pfund leihen könnten, und dafür kann man schon ganz anständige Häuser kaufen. Spannend, oder?

Viel spannender wird's, wenn man erstmal ein Haus hat. Dann geht es nämlich darum, den Wert zu erhalten oder zu steigern. Dazu macht man die üblichen Dinge, Streichen oder Teppiche, aber man tauscht auch gerne mal ein komplettes Bad aus oder eine Küche. Auch Wände knockt man gerne mal down. Und die Königin der wertsteigernden Aktionen ist der Um- oder Anbau!

Wenn man ein Haus mit 3 Zimmern kauft (Zimmer sind dabei immer Schlafzimmer, also exklusiv Wohnzimmer, Eßzimmer, Empfangszimmer, Lounge, Bad oder Küche) und dann ein paar Jahre später dasselbe Haus mit 4 Zimmern wieder abtritt, kann man sich schonmal auf einen schönen Reibach freuen!

Es gibt hier im Fernsehen relativ wenig Talkshows, zumindest im Vergleich zum französischen und deutschen Fernsehen. An Stelle der Talkshows gibt es hier Sendungen für Hausbesitzer! Man kann erfahren, wie man am besten ein Haus kauft, wie man es am besten renoviert, dekoriert oder expandiert, und man kann erfahren, wie man es am besten wieder verkauft. Souad guckt diese Sendungen oft.

...man kommt quasi bis an das Stahlgerüst heran.

Schön oder praktisch?

Souad und ich haben oft ganz unterschiedliche Vorstellungen vom Leben. Wir sind uns zwar relativ schnell einig, wo wir wohnen wollen, denn die Kriterien sind in dem Falle recht einfach: Mit dem Auto weniger als 20 Minuten zur Arbeit für mich und nicht so weit weg von der Bahn für sie.

Auch den Typ Haus haben wir schon vorab festgelegt, eine Doppelhaushälfte soll es sein. Einzelhaus können wir uns eh nicht leisten und Reihenhaus finden wir beide doof. Außerdem sind wir ja auf unser Budget festgelegt, und damit bleiben nur noch zwei oder drei Gegenden übrig, von denen uns Hazel Grove am besten gefällt.

Wir fahren erstmal ein wenig durch die Straßen und gucken uns um, bevor wir eine Woche später anfangen, Häuser zu besichtigen. Und hier trennen sich unsere Vorstellungen dann letztendlich: Während ich mich besonders über ein Haus in der Clarendon Road freue, weil es nach hinten raus auf einen Teich und ein Feld geht und einen großen Baum am Ende des Gartens stehen hat, fühlt Souad sich eher im Haus in der Ripley Avenue wohl, weil da die Räume alle größer sind und der Ort begehrter, weil eine gute Schule nebenan ist. Sowas ist gut für den Wiederverkaufswert.

Wir sehen uns noch ein paar andere Häuser an, so um die 10 mittlerweile, letztendlich bleibt es aber an den beiden hängen. Am liebsten wäre uns das Haus aus der Ripley Avenue aber in der Clarendon Road... Souad findet in der Clarendon die Küche zu klein und ich will etwas mehr Blick haben, nicht nur die Fenster der Nachbarn. Eine verfahrene Situation!

Wir besichtigen beide Häuser ein zweites Mal und sind uns immer noch nicht einig. Man könnte natürlich in der Clarendon Road einen Anbau machen, oder man könnte innen einiges umbauen und so die Küche vergrößern, aber was das wohl kosten mag?

Mir dämmert langsam, daß wir wohl keines der zwei nehmen werden... Souad findet das doof, weil sie Angst hat, wir würden vielleicht eine gute Gelegenheit verpassen. Und dann fahren wir am Samstag wieder mal nach Hazel Grove, um einen weiteren Finanzberater zu treffen und eigentlich nur nebenbei noch ein Haus anzusehen. Und siehe da: Wir mögen es beide!

Das hebt meine Moral ganz erheblich, und noch besser wird es eine Woche später, denn wir sehen uns an einem einzigen Samstag gleich zwei gute Häuser an, die auch noch ein ganzes Stück billiger sind. Jetzt haben wir also 3-5 Kandidaten, und wir überlegen scharf, ob und für welches der Häuser wir wohl ein Angebot abgeben werden...

Dieser spannende Moment eignet sich perfekt als Cliffhanger, findet ihr nicht?

Cheers,
Jan

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