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Land und Leute

Ferien

Der 27. Oktober wird wohl in die Geschichte eingehen als einer der wärmsten 27.10., den es im UK je gegeben hat. Das haben wir uns allerdings auch verdammt noch mal verdient! Die zwei Wochen davor nämlich hat es quasi durchgehend geschüttet, genieselt, geschifft oder gekübelt.

Ich bin ja wirklich froh, daß ich morgen nach Algerien fliege, wo ich dann endlich im November noch ein wenig Sommer mitbekommen werde...

Ich habe dieses Jahr mal das Konzept "zweistufige Ferien" ausprobiert: Erst war ich vier Wochen lang alleine in Manchester (well, mit Unterbrechung in Karlsruhe), und erst dann ging es für nochmal 10 Tage nach Alger. Ob das Konzept in seiner Gesamtheit gut ist, kann ich jetzt ja noch nicht sagen, aber der temporäre Rückfall in's Leben als Single war -ähm- interessant.

Einerseits habe ich es natürlich genossen, mal wieder tagelang am Stück 24 Stunden am Tag vor dem Rechner zu sitzen, andererseits fehlten mir meine zwei Frauen und das geregelte Leben, das sie mitbringen.

Ich glaube, vier Wochen sind zuviel, das machen wir nicht nochmal.

Karlsruhe

Am besten gefallen hat mir an diesen vier Wochen die Zeit in Süddeutschland. Ich war zu einem (komplett überflüssigen, weil unglaublich schlechten) Training in Walldorf und habe noch zwei Tage Karlsruhe angehängt.

Irgendwie gefällt mir die Stadt ja doch ganz gut. Ich esse Pizza mit Petra und Wassili, trinke Wein mit den beiden und der Gökeneinheit, lausche im Pub mit Tom, Petra & Wassili, Mait sowie ein paar betrunkenen Mongolinnen einer irisch angehauchten Coverband, laufe durch die sonnige Stadt, esse in der Kippe mit Volker, Tom und Mait Studiessen, flaniere ein wenig bei Nacht durch die Uni, esse lecker mit Tom, Tina und Kira, nehme mit Tom eine Currywurst beim Ballermann, und stelle mal wieder so ganz allgemein fest, daß Karlsruhe eine sehr angenehme Größe hat. Nicht zu groß, aber immer noch genug, daß man sich nicht langweilt.

Schön auch der Samstag: 17° im Schatten und schöner, blauer Himmel, die Sonne wärmt merklich den Rücken. Dann steige ich in die Bahn, wechsle in Frankfurt in ein Flugzeug und trete schließlich am Flughafen Manchester aus dem Terminal 3 direkt in einen regnerischen und verdammt kalten Abend. Klasse.

Das könnte auch Korfu sein... ist aber Tipasa in Algerien

So langsam denke ich ernsthaft darüber nach, ob Karlsruhe (oder wenigstens die nähere Umgebung) nicht doch ein angenehmer Wohnort für meine noch kleine Familie sein könnte...

Land und Leute

Angenehm in Manchester sind die Leute. Der Taxifahrer (der sich noch daran erinnern konnte, daß er mich Ende Juli zum Flughafen gebracht hatte, als ich nach Las Vegas flog) zum Beispiel konnte gut nachvollziehen, warum ich mit einem "Brrrr" einstieg, und konnte mir den Rückweg mit vielen Anekdoten zum Thema "scheiße kalt oder eben Regen" verkürzen.

Mein Kollege Wolfgang, der gerade von Egham bei London nach München gewechselt hat, findet Engländer auch angenehmer, hauptsächlich aus zweierlei Gründen:

Ich frage mich oft, ob der generelle "can do" Ansatz hier auch dazu beiträgt, daß das UK zur Zeit das prosperierendste Land im Abendland ist. Kann es sein, daß man in meiner Heimat zu sehr damit beschäftigt ist, sich über schlimme Dinge zu beklagen? Mein Lieblingsbeispiel sind die Lebenshaltungskosten: Kommt meinen Lesern in Deutschland das Leben teuer vor? Ja? Sollen wir mal im Detail vergleichen?

Mir ist natürlich klar, daß da eine Sache mit reinspielt, die in keiner Rechnung auftaucht: Wir sind alle an der Schwelle vom Leben als Single (und womöglich Student) zum Familienmitglied. Ersteres ermöglicht ganz klar einen weit besseren Lebensstandard, gar keine Frage. Das ist aber ein persönliches Problem, nicht die Schuld des Staates (oder gar ein Zeichen seines Verendens).

Einstmals römischer Tempel, heute Moschee.

Ganz anders, aber ähnlich unenglisch sind die Ereignisse in Frankreich in den letzten Wochen. Wenn man mal hört, was die Jungs eigentlich wollen, klingt das meist ungefähr so:

Vermummter Typ: Wir wollen, daß man uns endlich mal zuhört!
Reporter: Ok. Wir hören zu. Was wollt Ihr denn?
Vermummter Typ: Na daß man uns zuhört!

Blödes Problem, das. Die erste Revolte der Menschheit, deren Betreiber mangels simpler, materieller Probleme nicht so genau sagen können, warum (wogegen? wofür?) sie sich eigentlich auflehnen. Sowas könnte im UK nicht passieren, denn hier gibt es noch echte Arme, wenn auch immer weniger.

Richtig arme Arme

Wer so richtig arme Arme sehen will, muß nach Afrika fliegen, z.B. nach Algerien.

Souad's Eltern wohnen in einem ganz guten Viertel, bzw. einer Siedlung außerhalb eines Vorortes von Algiers, die für Angestellte und Funktionäre von Sonatrach gebaut wurde, die staatliche Sonstwasfirma. Damals war Algerien noch kommunistisch, wenn auch nicht mehr so richtig.

Die beiden größeren Orte in der Nähe, Rouiba und Ain-Taya, sehen schon anders aus. Dort findet man Leute, die wirklich gar nichts haben. Und dort findet man auch überall die schwarzen Tüten, die ich ja schon erwähnt hatte.

Um so froher war ich, daß wir dieses Jahr mal ein paar Ausflüge gemacht haben. Ist zwar komisch, wenn die Familie im Auto zu einigen der durchquerten Orte diskutiert, wieviele Tote hier bei welchem Massaker zu beklagen waren, aber das mit dem Terrorismus hat sich ja in letzter Zeit dank tatkräftiger Hilfe der USA nach Osten verlagert, Algerien ist also sicherer geworden.

Und so fahren wir in einen Badeort in den Bergen, wo auf ein paar heißen Quellen ein schönes Bad gebaut wurde. Ich war nicht drin, weil die Schlange bei den Männern endlos lang war, aber Bäder in Algerien sind so ähnlich wie die in der Türkei.

Ein paar Tage später fahren wir an der Küste nach Westen, schlendern durch einen ausgedehnten Komplex römischer Ruinen in Tipasa, und die klar osmanisch und römisch beeinflußte Innenstadt, schauen über das Meer und picknicken am Straßenrand, und ich komme mir fast vor wie an der Côte d'Azur.

Das Mittelmeer sieht in Algerien auch tatsächlich wie ein Meer aus!

Souad, die auch zum ersten Mal westlich von Algiers an der Küste ist, murmelt was von "kann verstehen, warum die Franzosen nicht weg wollten", und das kann man wirklich. Die Küste ist wirklich schön hier, und auch das Meer ist etwas mehr Meer als z.B. in Antibes: Hier gibt's richtige Sandstrände und echte Wellen.

Nach Algerien?

Letztes Jahr hatte ich noch gesagt, es sei zu früh für einen Wechsel nach Algerien. In erster Linie war das deshalb, weil ich a) mich dort nicht sicher fühle und b) den Müll in der Natur wirklich störend finde.

So. Nun waren wir ja dieses Jahr in einer Gegend, in der das Problem mit dem Müll nicht zu existieren scheint, und in der die Leute früher (also vor 1992) hauptsächlich vom Tourismus gelebt haben. Und da sieht die Sache schon ganz anders aus.

Das fängt damit an, daß es in Tipasa bedeutend weniger von den fiesen, bärtigen Typen gibt, die in Rouiba allgegenwärtig sind. Dann findet man dort auch völlig überraschend Touristen, die einfach so rumlaufen. In Rouiba undenkbar. Und es ist schön da, gar keine Frage.

Außerdem glaube ich, daß ein Großteil meines "fühle mich nicht sicher" daher kommt, daß ich die Sprache nicht verstehe. Das passiert mir ja nicht so oft sonst, ist also mindestens ungewohnt. Würde ich verstehen, daß die Leute auf der Straße über ihr blödes Auto reden, oder über Fußball, käme ich mir sicher weniger fehl am Platz vor.

Ich glaube, ich muß mal nach Dänemark fahren, oder in ein anderes ungefährliches Land mit mir nicht verständlicher Sprache, um diese Theorie zu überprüfen.

Jetzt allerdings muß ich aufhören, denn meine Tochter kotzt.

Prost,
Jan

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