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Sonnenfinsternis

Über 7 Brücken mußt Du geh'n...

SoFil besser

Was ich mir von Karlsruhe 1999 versprochen hatte, hat die Türkei nun knapp 7 Jahre später eingelöst: Eine grandiose Sonnenfinsternis mit allem drum und dran.

Nach der partiellen Enttäuschung in Karlsruhe hatte ich mir vorgenommen, die nächste Sonnenfinsternis in Libyen betrachten zu wollen, trotz zu erwartender Komplikationen.

Am Ende kam dann alles viel einfacher: Meine Eltern wollten mit der grösseren Familie Ferien machen, die Türkei lag in der Totalitätszone, für die Reisedaten waren noch Plätze in einem dieser All-Inclusive Hotels am Strand frei, und das Hotel entpuppte sich dann auch noch als perfekt gelegen, sodass wir noch nichtmal irgendwo hinfahren mussten sondern einfach nur auf der Wiese neben dem Pool beste Sicht hatten.

Im März ist es ausserdem in der Türkei sehr angenehm, lange nicht so unerträglich heiss wie im Juli (hatte ich 1988 mal ausprobiert, war zu warm). Im Schatten kann man sich sogar ab und an eine Gänsehaut zulegen, wenn einem danach ist, trotzdem hat man aber auch die Möglichkeit, sich einen schönen Sonnenbrand zu basteln. Habe natürlich beides getestet.

Lilia hatte anfangs Angst vor Sand und Wiese. Schon am dritten Strandtag jedoch saß sie glücklich auf ihrem Handtuch und stopfte sich Sand in den Mund, weil das so toll knirscht. Auch die Wiese war ihr beim zweiten Mal schon weniger unangenehm. Sie war jeden Abend der Star im Restaurant. Bis auf die zwei Supervisoren haben wir keinen Kellner erlebt, der nicht wenigstens mal kurz stehenbleiben und Backe zwicken wollte. Wo das wohl hinführen mag...

Das mit dem All-Inclusive ist letztendlich gar nicht so falsch. Die Hotelgäste waren gut gemischt, mit bemerkenswert vielen SoFi-Guckern und am Wochenende jeder Menge türkischer Familien, was dem ganzen viel Flair verlieh. Ich habe niemanden gesehen, der einfach nur eine Woche lang betrunken gewesen wäre (das würde ich ja tun, wenn ich nicht Familie hätte!). Und abgesehen von der Kantinenatmosphäre war sogar das Essen gut.

Am Ziel der Reise: Club Voyage Sorgun - oder so - in Side

Nichts Tolles ohne Probleme

Wenn ich jetzt zwei kleine Wermutstropfen erwähne, dann tue ich das nur, weil etwas Gutes ohne jeden Haken eigentlich nicht gut sein kann.

Unsere blöde Videokamera, mit der ich eine Weitwinkelaufname der Stimmung machen wollte, verabschiedete sich etwa 30 Sekunden vor der totalen Phase: Akku leer. Ich HASSE diesen neumodischen Scheiss! Meine alte Spiegelreflex hat mit einem Satz Batterien zwei Jahre (!) gehalten. Aber für Souad's blöde kleine digitale Kamera trage ich mittlerweile 3 Akkus mit mir rum, nur damit ich mal einen ganzen Tag lang fotografieren kann. Dreckszeugs.

Ein beliebtes Problem bei Pauschalreisen sind die Charterflüge. Die Abreise war geplant für 6:10 ab Antalya, also 2:50 ab Hotel mit dem Bus. Dann wurde die Zeit am letzten Abend spontan auf 5:10 geändert, dadurch Abfahrt am Hotel um 1:15. Zum Glück hat Lilia halbwegs durchgehalten und an den richtigen Stellen geschlafen... Früh war's trotzdem, und das erst am letzten Abend nach 19:00 per Zettel an der Tür anzukündigen, finde ich persönlich etwas lasch. Ein dreifaches "Buh!" für Thomas Cook.

Total

Die Sonnenfinsternis selber war wie gesagt super. Ab dem ersten Kontakt (wenn der Mond anfängt, einen Teil der Sonne zu verdecken) saß ich auf der Wiese und spähte durch meine Brille.

Im Gegensatz zu 1999 war diesmal schön zu sehen, wie es langsam dunkler wurde. Die Stimmung wurde immer entrückter, und die Gäste im Hotel mehr und mehr in den Bann gezogen. Kurz vor dem zweiten Kontakt (wenn der letzte Fitzel Sonne hinter dem Mond verschwindet) waren Alle regelrecht nervös, und man konnte merken, wie die Luft merklich kühler wurde.

Dann kam der zweite Kontakt, ein klasse Diamantring (der letzte Fitzel Sonnenlicht vor der totalen Phase), ein Aufschrei ging durch die komplette Anlage, Lilia fing an zu weinen, Fotoapparate klickten und surrten, viel "Oh!", "Ah!" und "Wow!" von überall und die Vögel wurden still. Man konnte Venus im Südwesten sehen und Abendrot rund um den Horizont.

Nach nur 3 Tagen Angst vor dem Sand sieht die Sache schon ganz anders aus

Über drei Minuten lang war es relativ still, dann kam wieder Nervosität auf. Der zweite Diamantring (wenn ein Fitzel Sonne wieder auftaucht) war spektakulär und dann wurde es auch schon sehr schnell wieder heller und wärmer.

Nach dem dritten Kontakt geht es eigentlich noch lange weiter, bis der Mond die Sonne komplett wieder freigibt vergeht ja doch einige Zeit, aber die totale Phase ist der eigentliche Höhepunkt, und alles danach fühlt sich an als wäre etwas ganz Grosses jetzt vorbei, ein bisschen traurig fast. Zum Glück haben wir einen Kleinbus gemietet und fahren stracks in's Gebirge, ein paar kleine Abenteuer erleben. Daher ist das nicht so schlimm.

Von weit, weit her

Wie schon erwähnt waren viele der Gäste im Hotel extra wegen der Finsternis angereist, davon einige von wirklich ziemlich weit her. Den Rekord dürfte eine Gruppe Inder aufgestellt haben. Die hatten sich auch gleich eine Suite im obersten Stockwerk gemietet und ihr ganzes Material auf dem Balkon aufgebaut, was immer wieder zu neidischen Blicken der anderen Gäste führte...

Meine Favoriten waren allerdings die Engländer mit den "Cornwall 1999" Kappen. Zu ihren Kappen befragt, sagten die meisten sowas wie "Bloody rain" oder auch "oh well...", und das kann ich ganz hervorragend verstehen, seit ich in Manchester wohne.

Unterschätz' mir nicht mein Kind!

Zeit: Gestern Abend, eigentlich schon nach normaler Schlafenszeit. Ort: Wohnzimmer. Lilia sitzt auf dem Boden und kaut an einem geplatzten Luftballon, der noch von ihrem Geburtstag rumlag, bis sie ihn vor 5 Minuten durch einen unglücklichen Biss erlegt hat. Die restlichen vier noch lebenden (wenn auch leicht flauen) Ballons hängen an der Decke (infolge eines Experiments mit Souads Haaren und statischer Elektrizität). Ich beschliesse, meiner Tochter das Bobby-Car auszupacken und zu überreichen, welches wir ihr in Hamburg zum Geburtstag gekauft hatten.

Das Bobby-Car ist vom "klar muß sie das zu ihrem ersten Geburtstag haben!"-Geschenk zum Experiment mutiert, weil Lilia noch in Hamburg zu weinen anfing, als wir ihr Irmas Bobby-Car zeigten. Nun hat Irma ein "New" Bobby-Car, und ich habe ein "Classic" gekauft, aber ob der Unterschied tatsächlich so viel ausmachen sollte? Egal, ich pack's trotzdem aus. Kann ja nicht ein Bobby-Car kaufen, nach Manchester mitschleppen und dann nicht benutzen!

Sonnenfinsternis, meistens oben.

Während ich auspacke und montiere, frage ich so nebenbei "Babylein, wo sind denn die ganzen Luftballons?" in den Raum, worauf Lilia den Kopf in den Nacken legt und mal kurz checkt, ob sie noch an der Decke kleben. Nicht übel! Sie mag ja noch nicht sprechen, aber verstehen tut sie ganz eindeutig schon. Und wahrscheinlich viel mehr, als wir uns vorstellen können. Ich sollte wieder anfangen, regelmässig die Relativitätstheorie zu erwähnen...

Und dann ist das Bobby-Car fertig, und Lilia strahlt es an und schiebt es dann erstmal ein wenig hin und her. Ich beschliesse, heute mal mutig zu sein und setze sie drauf. Sie quietscht, greift das Lenkrad, und fängt sofort an, rückwärts zu fahren, indem sie sich mit den Füssen auf dem Boden abstösst. Dann verbringt sie die nächste Stunde damit, unablässig ab- und wieder aufzusteigen, letzteres noch nicht perfekt, aber mit Elan. Puh, das Experiment ging gut.

Bosheiten

Lesern, die wie ich gerne mal Bruchstücke von Melodien den ganzen Tag im Kopf mit sich durch die Gegend tragen (bevorzugt schlechte), habe ich mit der Überschrift wahrscheinlich diesen unsagbar schleimigen Gassenhauer von Peter Maffay (ja, der mit dem beknackten Drachen) in's Hirn gepflanzt. Und wenn nicht mit der Überschrift, dann spätestens jetzt. Harrharr.

Übär siieeebän Brückän mußt Du gäh'n <döng><döng><ding>...,
Jan

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