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Zukunftsvisionen

Sodele,

Nun ist schon wieder ein neues Jahr und wir sind immer noch alle da wo wir immer schon waren. Ist ja auch nicht weiter verwunderlich.

Souad und ich haben neulich erstaunt festgestellt, daß wir jetzt schon seit drei Jahren in diesem Tiefdruckgebiet namens England wohnen, und daß wir gar nicht so richtig gemerkt haben, wie schnell die Zeit vergeht. Die ursprünglich angepeilten zwei Jahre hier sind unbemerkt an uns vorbeigegangen, und man kann auch nicht wirklich behaupten, daß wir einen konkreten Plan hätten, der uns in näherer Zukunft wieder der Sonne nah bringen könnte. Zeit für einen tiefen Seufzer, und dann muß ich auch schon wieder raus auf's Fahrrad und zur Arbeit...

Festwachsen?

Als meine Eltern 1976 aus dem Süden Deutschlands nach Hamburg umzogen, war das wegen eines Jobs und selbstverständlich mit der festen Absicht, möglichst nicht so lange zu bleiben. Über 30 Jahre später sind sie immer noch da. 1990 schickte mich die ZVS nach Karlsruhe zum Studieren, und selbstverständlich wollte ich sofort, also gleich nach dem Vordiplom (in meinen Träumen also 1992) wieder nach Hamburg zurück. 1993, nach 6 Monaten warten auf einen Studienplatz, kehrte ich dann dem Norden den Rücken, und bereut habe ich das nie.

Ich bin also sowohl erblich als auch geschichtlich vorbelastet, und das macht mich nachdenklich.

Mein Plan ist ja nachwievor, hier in Manchester in einen Job zu rutschen, der gut genug ist, das ich mit der Erfahrung dann zurück nach Frankreich gehen kann um dort tierisch viel Kohle zu verdienen.

Ob dieser Plan auch gewisse Ähnlichkeit mit der Realität hat, kann ich zur Zeit nicht sagen. Ich bewerbe mich ja immer wieder auf vielversprechende Posten bei Hyperion, und ich halte auch die Augen offen, was andere Jobs angeht, aber so richtig was bei rumgekommen ist da ja bisher nicht.

Soweit zur Situation vor dem 1. März.

"The Englishman who went to Hyperion but came back from Oracle"

Einen Tag nach meinem Geburtstag laufe ich morgens durch den Matsch zur Arbeit. Es ist saukalt, ein eisiger Wind will mir die Nase abbeissen. Ich laufe, weil mein Hinterrad mal wieder eine etwas zu voreilige Bindung mit einem Dorn eingegangen und daher platt ist. Motivation heute mal wieder ganz toll. Zum Glück habe ich heute nur ein Training zu machen.

Anyway. Komme also bei der Arbeit an und werde sofort in das neueste Gerücht eingeweiht: Oracle kauft Hyperion!

Nun hatten wir solche Gerüchte schon oft. Mal war's IBM, mal SAP, mal Microsoft, mal Oracle. Diesmal allerdings steht's überall, und sogar der Heise Newsticker berichtet davon. Hm... ob's diesmal wohl stimmt?

Um 10 ruft uns unsere Chefin zu sich. Sie erklärt der versammelten Zuhörerschaft, daß sie auch nichts wisse, allerdings sei auch kein Dementi im Umlauf, es könne also wahr sein.

Um 11 bekommen wir alle eine Email von unserem CEO, in der die Gerüchte bestätigt werden: Man hat sich geeinigt, Oracle wird 3.1 Milliarden Dollar zahlen und Hyperion übernehmen. Wow. Wir sind alle erstmal nur verblüfft.

Über Mittag ist die Stimmung etwas komisch. Alle machen permanent Sprüche von wegen "Oracle - super Firma" und so, aber die überwiegende Emotion ist doch Unsicherheit. Man denkt Dinge wie "wer wird wohl zuerst gefeuert?" oder "Ich will aber nicht für Oracle arbeiten!"

Nach dem Mittagessen dann setzt das Denken wieder ein. Ich erinnere mich an meine Optionen und Aktien, und daran, daß die ja vermutlich ausgezahlt werden, denn der Deal ist, daß Oracle bar zahlt. Das wäre mir nur recht und brächte einen schönen Batzen Geld. Außerdem gehöre ich zu einem der guten Teams, mein Job dürfte also recht sicher sein. Drittens wäre es ja auch nicht so tragisch, wenn wir wieder wegziehen müssten.

Der Aktienkurs geht kurzzeitig auf $52 hoch, nachdem er gestern Abend noch so um die $42 gedümpelt und noch vor wenigen Wochen mit der $35-Marke gekämpft hatte.

Auf dem Weg nach Hause bin ich blendend gelaunt, trotz eisigen Windes und bodenloser Matschpfade. Ich beschließe, daß dies mein Geburtstagsgeschenk ist und ein ziemlich gutes dazu. Arnd hat Recht: Große Umbrüche (mit allem Chaos, das sie mit sich bringen) bieten immer auch große Möglichkeiten. Ich nehme mir vor, die Gelegenheit wahrzunehmen, wie auch immer sie aussehen mag. In den nächsten paar Monaten ändert sich ja sicher eh erstmal nichts.

Und die Moral von der Geschicht: Optimismus ist klasse!

Strahlend,
Jan

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