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Einfach Schön

Habe ich den letzten Bericht hier auch schon am Flughafen ALG auf dem Rückweg geschrieben? Wird das jetzt eine Tradition? Ein Artikel pro Jahr, immer im Juli? Unbefriedigend aber scheint so. Nunja.

Ich trinke gerade eine kalte Cola Zero und nenne das "Rückkehr in die Zivilisation - Schritt 3". Schritt 1 und 2 waren gestern abend eine Klimaanlage und eine Dusche. Die weiteren Schritte werden sein: 4 - Landung in Basel, 5 - (pünktlichen) Bus in die Stadt nehmen, 6 - Zuhause nochmal duschen, 7 - in einen Supermarkt gehen und Essen kaufen, 8 - in meinem Bett schlafen, 9 - morgen zur Arbeit, 10 - 600 ungelesene Emails.

So eine Rückkehr in die Zivilisation kann etwas ganz grosses sein, kommt einfach darauf an, von wo man zurückkehrt. Und da ich ja nun wirklich nicht zum ersten Mal bei den Schwiegereltern in الجزائر (Algerien) war, fragt Ihr Euch vielleicht, warum ich diesmal so ein Geschiss mache.

Einfach Schön

Die Schwiegereltern wohnen in Ain Taya, gar nicht so weit weg von دزاير (Alger), ganz nah am Meer, in einer Siedlung die mal als Provisorium gedacht war. Am Anfang waren dort Trailer mit Grünflächen und Pfaden dazwischen, aber über die Jahrzehnte haben die Anwohner angebaut, umzäunt und abgesteckt. Umzäunt heisst in Algerien "2m hohe Betonmauer", deswegen fühlt sich die Siedlung jetzt etwas beengend an. Man gewöhnt sich.

Blick über die Dächer

Dazu haben sie aber noch ein Stück Land in Azeffoun, weiter östlich in der Kabylie. Dort standen bis vor einem Jahr nur zwei halbverfallene, uralte Häuschen, jeweils ein Zimmer.

Im Winter 2016/2017 haben sie vor eines der Häuschen eine Wohnküche gebaut, mit Verbindung, daher war das ganze jetzt "wohnfähig" und wir haben uns am 5.7. auf den Weg gemacht, um dann bis zum 11.7. dort zu bleiben.

Ich teile das jetzt mal in 2 Teile auf: schön und einfach. Mit einfach fange ich an, nicht ohne aber vorher gesagt zu haben, dass das Fleckchen Land dort spektakulär schön ist, also so richtig!

Am Abend des 4.7. hatte ich auf meinem Telefon gecheckt: 38 Grad waren vorhergesagt, für die komplette Woche. Im Fernsehen auf Canal Algérie wurden nur 28 Grad vorhergesagt.

Als wir dann am 5. ankamen, war sofort klar, dass Canal Algérie von Vorhersagen für Azeffoun keinen Schimmer hat. Von den 7 Tagen vor Ort waren 4 knapp an die 40 Grad heiss, die anderen in den tiefen 30ern. Allerdings wehte an 5 von den 7 Tagen ein schöner Wind so zwischen 5 und 7 Windstärken, damit war es auszuhalten. Draussen.

Dank Netatmo zuhause konnten wir ab und zu vergleichen, und auch in Basel war es zeitweilig fast so warm, aber doch eben immer 4 - 5 Grad kälter.

So, und nun zum einfach.

Eine Wohnküche, etwa 30qm, drei Stufen hoch zu einer 9qm Kammer im alten Häuschen, Holztreppe hoch zu Kammer oben drüber, selbe Grösse. Familie Exner zu 6. plus 2 Schwiegereltern. Nicht viel Platz. Schwiegervater schlief oben (heiss unterm Dach), 3 Kinder plus Schwiegermutter in der Wohnküche, und wir plus Kleinste in der Kammer (wo es am kühlsten war, wenn man das bei über 30 Grad sagen darf).

Wegen der Hitze hatten wir in der Wohnküche immer Fenster und Tür offen und daher tagsüber Fliegen und Käfer im Haus. Nachts konnte man dem beruhigenden Sirren der Mücken zuhören, und ganz ehrlich gesagt hätte mich das wahnsinnig gemacht, denn man konnte sich ja wegen der Hitze nicht wirklich zudecken. Zum Glück habe ich eine Frau und eine Tochter, die den Mücken weit besser schmecken als ich, oder ich reagiere nicht so heftig auf deren Stiche.

Matratzen. Sind in Algerien einfach nur scheisse.

Klo. In der Wohnküche, aber weil Handwerker in Algerien auch nicht besser sind als anderswo, haben sie die Mauer nicht bis zum Dach hochgebaut, man sitzt also hinter einer Mauer, die oben offen ist. Gewöhnt man sich überraschend schnell dran, ehrlich gesagt.

Fliessendes Wasser. Es gibt einen Brunnen auf dem Grundstück, und der ist gut. Mein Schwiegervater hat mit 3 Pumpen den Höhenunterschied überbrückt und hinters Haus einen grossen Zwischentank gestellt. Wasserdruck ist lasch, aber es gibt fliessendes Wasser.

Dusche. Ja, aber. Man stellt tagsüber 30l Kanister mit Wasser in die Sonne. Abends nimmt man dann eine Zinkwanne mit ins Badezimmer/Klo, setzt sich auf einen Holzschemel und giesst sich mit einem Becher Wasser auf den Kopf. AU! HEISS! Stand ja auch den ganzen Tag in der Sonne, und wenn man's mit kaltem Wasser mischt, dann ist es super.

Ganz ähnlich haben wir das manchmal früher beim Seglen auch gemacht, falls es mal warm genug war...

Habe ich was vergessen?

Internet! Nein. Empfang? Punktuell. Daten? Nope.

Ich bin ganz stolz auf meine 12-Jährige, die genau das nach ein paar Tagen bemängelte. Ganz der Vater.

Der Tag läuft wie folgt ab.

Man wacht morgens auf, weil einem warm ist. Eine Fliege sitzt auf der Schläfe, zwei weitere irgendwo anders auf dem Körper. Dies sind Fliegen, die beissen können. Wusste ich vorher auch nicht, aber das tut richtig weh. Man steht auf und wäscht sich ein wenig den Kopf. Hilft mit dem warm. Man geht raus, sucht sich Schatten und trinkt einen Tee und isst ein wenig Brot mit Butter oder Algerische Baignets.

Dann muss irgendwas getan werden, z.B. "debrouissaillage", d.h. Ausdünnen des Unterholzes wegen Feuergefahr. Da wir hier in einem heissen Klima sind, sind Pflanzen nicht unsere Freunde. Alles was hier wächst, piekst, kratzt oder hakt sich in Haut fest. Man findet immer mal wieder Stacheln irgendwo an Stellen, wo es vage wehtut, gerne auch Stunden später.

Manchmal geht man mit den Kindern an den Strand, das ist dann super. Natürlich auch krass heiss und voll bis zum Umfallen, aber immerhin hat man Wasser en masse, laue 25 Grad warm.

Mittags isst man, wieder im Schatten, am Nachmittag gibt's wieder Tee und Gebäck und so zwischen 8 und 10 isst man Abendessen, während einem die Fliegen klitzekleine Stücke Haut abbeissen. (Übrigens tun sie das bei uns in Oberwil auch. Keine Ahnung, warum ich sowas aus meiner Kindheit in Norddeutschland nicht kenne oder erinnere.)

Um 11 werden die Schwiegereltern müde und wegen der Aufteilung muss man dann auch in's Bett. Das ist übrigens auch der Moment, wo die Brise draussen angenehm kühl wird, man also eigentlich gern draussen sein würde. Und natürlich macht man alle Fenster zu, denn man kann ja nicht mit offenen Fenstern schlafen. Ehrlich gesagt ist es auch die Zeit, zu der die Mücken richtig aktiv werden, also ok.

Wenn man mal nichts tut, sucht man den besten Schatten, d.h. den mit dem besten (lies stärksten) Wind und steht einfach da oder setzt sich auf einen Hocker. Das ist die beste Zeit, vor allem wegen der Aussicht.

Und damit sind wir beim schön.

Es ist wirklich absolut irre wahnsinnig schön da, und die Aussicht ist eine der besten, die ich kenne. Man sieht die komplette Bucht von Azeffoun, zwei weitere Landzungen Richtung Westen, nach Süden hin ein paar 1000er Gipfel, und vor allem viel Meer. Selbst die Sonne geht im Meer unter.

Das Grundstück liegt auf 300 - 400m über dem Meer, der Hang dahinter geht auf 700m hoch. Selbst die unvermeidlichen Betonappartments unten direkt an der Küste stören den Blick nicht, dafür ist man einfach hoch genug.

Hier - Bilder:

Erstes Foto von vor dem Haus
Der Blick auf die Bucht bei Sonnenuntergang
Abends um halb 9 Tee trinken mit der Aussicht
Blick nach Süden auf die Berge
Tochter 1 posiert vor dem Sonnenuntergang
Die Bucht von oben auf dem Hügel hinter dem Haus
Blick auf Azeffoun und die Bucht von der Passstrasse ganz oben
Strassenverkauf in den Bergen bei Yakouren

Schön, oder?

Ich würde sagen, das ist ganz klar eine Woche ohne Zivilisation wert, und ich bin froh, dass wir da waren.

Zurück in die Zivilisation - Schritt 3

Mit in die Ferne schweifendem Blick und Gedanken,
Jan

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